Sonntagssegeln gegen den Strom
Ein Sonntag Mitte Oktober, strahlende Sonne, Es zieht mich aufs Wasser - auf den Rhein, unser Revier. 300m breit, 1000km lang.
Schnell die Persenning von meiner alten O-Jolle "Agnes" und aus dem Volmerswerther Hafen. Wohin? Es gibt nur eine mögliche Richtung, wenn ich abends wieder zurück sein will, stromauf gegen 6 km/h Strömung und Wind SW 3-4. Denn das heißt bei uns: "Talwind".
Das Ziel ist also klar: möglichst weit Richtung Schweiz - nicht nach Holland. Wie geht das? Bei westlichen Winden (Bergwind) relativ einfach vorwind gegen den Strom "zu Berg". Aber bei Talwind?
Alle paar hundert Meter sind Basaltwälle (sogenannte Kribben) in den Strom gebaut, um die Fahrrinne zu vertiefen. Zwischen diesen Kribben kann man bei normalem Wasserstand segeln. Dort läuft ein Neerstrom, der oberhalb der Kribben landeinwärts setzt, dicht am Ufer stromauf und dicht unterhalb der Kribbe zurück in den Strom. Man kreuzt also unter Ufer bis zur Kribbe und läuft dann auf halbwind parallel zu ihr vom Ufer weg. Vor dem Kribbenkopf setzt die Strömung sehr stark diagonal in die Flussmitte. In diesen Strom wendet man nun mit einer Rollwende herein, bevor er das Schwert packt - dann findet man sich nämlich sofort 20m stromab wieder. Nach der Wende steht man mitten in diesem Strom und wenn der Wind mitspielt, bewegt man sich Zentimeter um Zentimeter stromauf, bis man oberhalb der Kribbe wieder dichter unter Ufer kann. Der klar lackierte Mahagonirumpf rauscht dabei anderthalb Meter an den Basaltbrocken vorbei. Das Schwert meldet zu dichte Annäherung unerbittlich mit lautem Rumpeln.
Mit zwei Kreuzschlägen bin ich an der ersten Kribbe. Die hat eine fiese Besonderheit in Form eines 20 m langen Widerhakens, der verhindert, dass unsere Hafeneinfahrt versandet. Das funktioniert erfreulich gut, mir ist das Ding jetzt leider im Weg, denn ich kann keinen Schwung für die Rollwende holen. Vor diesem Leitdamm gibt es einen stark verwirbelten Streifen Wasser, indem man erstaunlicherweise mit flatternden Segeln und dem Bug im Wind stromauf treibt. Der Trick ist, sich im Wind stehend hochtreiben zu lassen und dann abzufallen, so dass das Segel angeströmt wird, wenn die Strömung am Ende dieses Totwassers den Rumpf packt. Dann ein, zwei Pumpschläge und das Ding ist geschafft.
So geht es Kribbe um Kribbe, mit vielen Varianten. Die Abdeckung der hohen Pappelreihe am Campingplatz. Die schwimmende Kneipe ("der Bottschen" genannt), die einen für 150 m unter den Augen aller Gäste in den Strom zwingt. Der Schwell der Schifffahrt, der den Wasserstand um 20 cm schwanken lässt und die lokalen Strömungsverhältnisse stark ändert: auch um eine Kribbe, die man sicher im Sack glaubte kann man wieder zurücktreiben. Dafür kann die Heckwelle eines Containerschiffs auch der Drücker sein, der die entscheidenden Zentimeter bringt. Die Kribben unterhalb vom "Kirchenloch" auf die ein starker Querstrom setzt. Es wird nie langweilig. An manchen Stellen braucht man eben 20 Versuche und nachlässiges Segeln rächt sich sofort.
Unterhalb der Fleher Brücke wechsle ich auf die Neusser Rheinseite, das kostet leider 200 mühsam erkämpfte Meter stromluv. Hier in der Innenkurve ist dafür besserer Wind und weniger Strömung, allerdings gibt es nur flache Sände und keine helfenden Kribben, abgesehen von einem tiefen, ausgedehnten Basaltfeld unterhalb des Brückenpfeilers. Da habe ich mich dann leider verkalkuliert. Dicht unter Ufer war ich bequem darüber gesegelt, aber beim Holeschlag verlässt mich der Wind und ich werde quer über die Steine getrieben. "Agnes" Schwert bekommt ein paar grobe Stöße ab und der Schwertkasten von ohnehin zweifelhaftem Zustand ächzt böse.
Ein Rudervierer mit Damencrew treibt entspannt vorbei, die Steuerfrau sagt laut Ahoi und leise, heute sei aber wirklich alles auf dem Wasser. Wen haben die vor mir getroffen? Ich schöpfe Hoffnung und knoble mich unter der Brücke durch und um die extra flache Stelle an der "Kuhwiese" und da hinter der Kurve liegen meine Eltern mit ihrem Dickschiff vor Anker. Nach drei Stunden an der Kreuz und 4 km über Grund hänge ich "Agnes" an einer langen Schlepptrosse bei meinen Eltern achteraus und bekomme Kaffee und Pflaumenkuchen.
Der Rest der Strecke ist jetzt einfach herrlich denn ab jetzt habe ich halbwind. In Gleitfahrt laufe ich noch einen Kilometer stromauf bis zur Himmelgeister Fähre. Es fängt an zu dämmern, ich muss umdrehen. Schade, denn bei diesem Wind könnte man mit etwas Glück Benrath schaffen.
In der Strommitte raumschots zurück. Hier ist viel Verkehr und wenig Wind, denn der SW hebt sich mit der Strömung oft vollkommen auf.
Um sechs liegt "Agnes" in ihrem Stall und ich fahre zufrieden nach hause.
Das alles kann man mögen oder nicht, ich liebe es. Allein, habe ich doch immer einen Gegner und ein Ziel: möglichst weit zu Berg. Deshalb sieht man mich selten auf einem See um die Bojen segeln.
Euer Sven
GER 591 "Agnes"


Von zweien die auszogen das Fürchten zu lernen <

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