Abenteuer Rheinwoche Teil I

25.05.2010
Selbstversuch: Mit der "True Love" von Herbert Dahm zum Blauen Band
aus dem Segelreporter.com

Ein Anruf aus der Heimat. Der Düsseldorfer Yacht Club (DYC), mein alter Verein, hat eine Jongert geschenkt bekommen. Lust, sie bei der Rheinwoche zu steuern? Wie jetzt? Jongerts sehen so aus. Das sind Megayachten der Luxus-Abteilung. Die bekommt man nicht einfach geschenkt. Schon gar nicht die Junioren-Abteilung. Jongerts gehören auch nicht auf den Rhein.

Aber es gibt eine 25 Fuß Mini Jongert. Herbert Dahm, deutscher Eckpfeiler der Edelmarke Jongert, pflegte sie als Tender auf das Sonnendeck seiner 40 Meter langen Benetti Motoyacht zu hieven! Ein irres Schauspiel, wenn die IMS- Rennyacht per Kohlefaser-Kran ins dritte Obergestock bugsiert wurde und sie dort mit gesetztem Mast in einer Schale auf dem Deck thronte. Er nannte das Schiffchen „True Love“ und es war wohl so gemeint. Auch wenn er zwischenzeitlich als Motorbootvertreter seine Brötchen verdiente, ist der Mann ist ein passionierter Segler. Und diese Menschen wissen, dass man mit kleineren Booten zwar weniger Geld zeigen und Status symbolisieren aber deutlich mehr Spaß haben kann.

Ich bin einmal vor neun Jahren mit Herrn Dahm in Travemünmde auf der "True Love" gesegelt. Es ging um ein Porträt des charismatischen Düsseldorfers für die YACHT. Er ordnete mich wohl in die Kategorie Journalist ein und ließ höflich, vorsichtig durchblicken, dass er mit meiner Arbeit an der Großschot nicht so zufrieden sei. Denn das Schiffchen lag häufig auf der Backe. Über die Gründe konnte man geteilter Meinung sein. Ich hielt meine zurück. Und so kamen wir gut miteinander aus. Der Mann verdiente schließlich mit seinen damals über 70 Jahren am Steuer des 25 Fußers höchsten Respekt.

Der hat sich nach drei Tagen am Steuer dieses zickigen Schiffchens noch erhöht. Denn die "wahre Liebe" segelt nicht von alleine geradeaus. Man muss ordentlich an der Pinne zerren. Das Ruder gleicht der schmalen Finne eines Lasers. Bei starker Krängung wedelt es hilflos im Strudel der abgerissenen Strömung. Das ist suboptimal, wenn auf dem Rhein gerade das Timing der Passage eines schäumenden Erzfrachters ansteht. Oder wenn ich hinter einer 30er Schäre abfallen will, eine Böe ins Rigg haut....Man mag es sich nicht vorstellen. Allein dieses splitternde Geräusch, wenn sich der Kunststoff-Bug in die gepflegten Hölzer bohrt....nicht auszudenken.

So viel zur Vorgeschichte. Also 88. Rheinwoche mit der Jongert. Die größte, längste und älteste Flussregatta Europas. 120 Schiffe mit über 400 Seglern. Ausrichter sind in diesem Jahr der Kölner Yacht Club und der Club für Wassersport Porz. Fünf Etappen, fünf Rennen kein Streicher. Von Oberwinter nach Mondorf, Köln-Porz, Hitdorf, Düsseldorf und Krefeld. Gewertet wird nach Yardstick. Und es gibt ein Blaues Band für die absolut schnellste Yacht. Da sind alle ziemlich wild drauf. Dabei sind wir mit der Yardstickzahl 94 ohnehin auf dem Papier die schnellste Yacht. Sportlich ist also eher die Yardstickwertung interessant, auch wenn dieses Vergütungssystem nicht gerade zu den genauesten dieser Welt gehört. Aber das trifft bekanntlich auf alle Handikap-Wertungen zu.

DYC-Sportwart Wolfgang Bogacki hat ein schlagkräftiges Team zusammengestellt. Ex Lasersegler Clemens der auf dem Vorschiff, Big-Boat-Spezialist Christoph in der Pit-Position, die erfahrene Rhein- und Drachenseglerin Barbara an der Fock, 505er und Pogo-Segler Wolfgang an der Großschot. Wir treffen uns eine halbe Stunde vor dem Start in Obwerwinter. Die Sonne brennt, die Luft steht, so scheint es. Wir sortieren noch die verschiedenen Vorsegel, verkleben die Löcher in den fast zehn Jahre alten Tüchern, den vermutlich kleinsten 3DL Segeln, die je gebaut wurden, und wagen uns dann auf den Strom.

Eine hübsche Landsschaft. Ein exklusiver Blick auf den 321 Meter hohen Drachenfels mit der markanten Burg-Ruine. Aber die Orientierung in der Strömung hat Priorität. Kaum reißt einen der Rhein mit seinen bis zu fünf Knoten schnellen Fließgeschwindigkeit mit, erhöht sich der Druck im Segel um eben jene Knoten Fahrtwind. Da der Gradient-Wind auch aus der nordwestlichen Richtung weht, addiert er sich zum Fahrtwind. Es ist die optimale Windmaschine. Während auf den umliegenden Seen der Region mit Flaute gekämpft wird, sorgt der Rhein für absolute Segel-Action.

Rheinsegeln: Wie bei einem Bungeesprung


Hübsch soll er sein, der Rhein bei Oberwinter. Ich nehme mir fest vor, den Reiz der Landschaft zu inhalieren, den exklusiven Blick von der Wasserseite auf die Umgebung des Drachenfels zu genießen. Es scheint schließlich die Sonne. T-Shirt Segelwetter. Vollgepfropfte Ausflugsdampfern cruisen vorbei. Die Touristen haben lange Wege und hohe Preise in Kauf genommen, um sich die Schokoladenseite des Rheins anzusehen. Und wir? Schwupps sind die Sehenswürdigkeiten am Rolandseck durchgerauscht.

Man könnte gemütlich im Boot sitzen und die außergewöhnliche Rheinperspektive genießen. Aber es geht wieder banal um die Kunst des Nullstarts, ums Ausweichen, Wenden, Winddreher. Wie überall bei den Segel-Wettrennen dieser Welt. Schade eigentlich. Man kann eben nicht alles haben. Das Regattieren auf dem Rhein ist schließlich aufregend genug. Sogar eine Spur dramatischer und hektischer als anderswo. Denn zu den üblichen Strategie-Dimensionen der wechselnden Windstärke und -Richtung kommen zwei weitere hinzu. Strömung und Berufsschifffahrt.

Das Auslaufen aus dem Hafen kostet schon eine gewisse Überwindung. Wie vor einem Bungee-Sprung. Man springt ab und weiß, dass es kein Zurück gibt. Der Strom nimmt einen mit. Er nimmt alles mit, was sich nicht mit Motorkraft dagegen halten kann. Segler können sich bei genügend Wind allenfalls nahe dem Ufer gegen Vater Rhein stemmen. Die Strömung dort ist dort geringer. Aber es gibt einige Opfer, die zu früh über die Startlinie getrieben werden. Sie müssen warten, bis das gesamte Feld passiert. So wollen es die speziellen Rheinwoche Regeln. Zurück über die Linie können sie schließlich nicht.

Mit unserer Jongert 25 haben wir noch die besten Karten beim Kampf mit dem fließenden Wasser. Je schneller das Boot, umso einfacher ist das Manövrieren. Eine Minute vor dem ersten Start liegt das Gros der ersten Gruppe noch mit dem Heck zur Linie. Ein skurriles Bild. Mit schäumendem Bug und vollen Segeln versuchen sich die Schiffe von der Linie freizuhalten. Und sie treiben doch auf sie zu. Im richtigen Moment wird das Steuer herumgerissen. Die Startkreuz bis zum ersten Ziel in Mondorf beginnt.

Wir scheinen nicht sehr beliebt zu sein im Kreise der Rheinwoche-Starter. Eine Edel-Jongert mit Plastiksegeln und Kohlefaser-Rigg mag nicht gerade ein Sympathieträger sein in der Flotte der eher bodenständigen Varianta-, Zugvogel-, oder Sailhorse-Spezialisten. Wir sind nun mal keine 30er Schäre, denen die Herzen zufliegen. Sage mir, welches Boot du segelst und ich sage dir, wer du bist. Diese Erkenntnis passt oft genug in der Welt der Segler. Somit dürften wir mit dem schnellen 25 Fußer eine gewisse Arroganz ausstrahlen. Wissen ja wenige, dass wir uns das Schiff nicht selber aus der Portokasse gezahlt haben. Es ist eben ein sehr exklusives Clubschiff.

Durch diese Sichtweise unserer Außenwirkung gelingt es jedenfalls, den Startvorfall mit der Soling-Crew nicht persönlich zu nehmen. Die drei Herren mögen nicht, dass wir uns vor sie legen. Klar, Windschatten fände ich auch doof. Aber irgendwann ist der Rhein nun mal ebenso zu Ende wie die Rücksichtnahme auf kleinere Mitstreiter. Dabei will die genervte Soling-Crew sogar eine Regelverletzung erkannt haben und tut das lautstark kund. Es geht um eine abenteuerliche Interpretation des Regelwerks. Aber vermutlich liegt dem verbalen Ausbruch auch ein allzu menschliches Dampfablassen nach der enormen Vorstartspannung zugrunde. Wenn dann noch so ein arroganter Racer daher kommt, ist der ein willkommener Fluch-Adressat.

Es geht hektisch zu beim Start. Wenn die 120 Boote bei ordentlich Druck hin und her kreuzen. Als wäre es nicht schon genug Stress, den fiesen Schären-Bugspitzen auszuweichen, drängelt sich dann auch noch die geduckt vorwärts schäumenden Bergfahrer dazwischen, die entgegenkommenden Frachter. Sie teilen das Feld mit ihrem Bug. Das Startfeld ist für einen Rheinschiffer kaum ein Grund, vom Gas zu gehen. Diese Nähe zu den schwarzen Schuten ist ungewohnt. Sie erzeugt spontane Furcht, wenn sich die Distanz plötzlich verringert. Aber je länger das Rennen dauert, umso mehr werden sie zum gewohnten beweglichen Hindernis, das intelligent umfahren werden will.

Und dennoch rauscht das Adrenalin in den Adern, wenn sich wieder einmal einer dieser Geisterfahrer der Aufmerksamkeit entzieht.

Das Kreuzen geht an die Substanz. Unzählige Wenden. Auf den 120 Kilometer in fünf Etappen steigt nur einmal für fünf Minuten ein buntes Tuch aus dem Sack in den Mast. Ansonsten immer hart am Wind. Wolfgang an der Großschot macht dicke Backen. Groß auf, wenn eine Böe ins Rigg hackt. Groß wieder dicht, wenn der Druck nachlässt. Sonst kippt die Kiste nach Luv. Und die Crew auf der Kante bekommt nasse Füße. Das will ja niemand. Barbara kurbelt sich bei den Manövern im Minutentakt die Seele aus dem Leib, Clemens hilft, wenn es zu hart wird und Christoph reißt die Schot dicht. Alle wissen nach drei Tagen, was sie getan haben.
Knapp eineinhalb Stunden dauert für uns der erste Lauf, die erste Etappe. Der längste Abschnitt liegt bei knapp drei Stunden. Im Hafen Mondorf liegt schon das Fahrgastschiff "Eureka" bereit. Ein 56 Meter langer "Holländer" auf dem bis zu 600 Passagiere Platz nehmen. Es ist das Basisschiff der Rheinwoche. Auf dem Oberdeck ist ein Matratzenlager für bis zu 100 Segler eingerichtet. Es wird überwiegend von der Jugend genutzt. Unten wird gegessen. Bei welcher Regatta gibt es das schon? Ein ordentliches Mittagessen zwischen zwei Läufen.

Wir müssen uns zwar immer etwas gedulden, weil unser Racer der Flotte voraus fährt und wir vor der "Eureka" auf der Matte stehen, sobald sie die Leinen festgemacht hat. Aber das ist gerade noch auszuhalten. So können wir uns in aller Ruhe über die Getränkepreise mokieren, die mit 2,50 Euro für eine Mini-Cola doch sehr "holländisch" sind, wie einige Mitsegler beteuern. Komisch, als ich noch im Revier lebte - lang ist es her - sind wir immer zum Sprit bunkern ins günstige Holland gefahren. Es scheint sich einiges geändert zu haben. Viele Segler sind offenbar gar nicht gut auf die Preispolitik der Nachbarn zu sprechen. Dabei ist doch eigentlich nur wichtig, dass die Freunde des flachen Landes bei der Fußball WM hinter unserer Löw-Truppe liegen.

Beim zweiten Start ecken wir wieder an. Eine Tempest erwartet ein Ausweichmanöver. Sie steuert mit Vorfahrt auf uns zu. Ich lege mich ins Schiff, um unter dem Baum durchsehen zu können und peile und peile...passt! Die Tempest sollte klar hinter uns durchfahren. Dort sieht man das offenbar etwas anders. Der Steuermann wirft das Schiff in einem vermeintlichen Notmanöver herum, und echauffiert sich hörbar. "Protest" heißt es. Entweder möchte da jemand den vermeintlich arroganten Jongert-Typen eine Lehre erteilen. Oder der Mann hatte tatsächlich Angst um sein Boot. Offensichtlich gibt es zu dem Vorfall zwei Meinungen. Die Wahrheit könnte nur der Videobeweis ans Licht bringen.

Wie auch immer. Im Kölner Zielhafen kommt der Tempest-Segler an Bord. Sagt, es sei so schönes Wetter und Bayern München spiele das Champions-League Finale, da wolle man doch nicht die Zeit im Protestraum verbringen. Er wäre auch mit einem Bier zufrieden. Hmm, ein erzwungenes Bier ist natürlich in gewisser Weise ein Schuldeingeständnis. Aber es zeigt auch den Spirit dieser Veranstaltung. Eigentlich haben wir uns doch alle lieb unter Seglern. Auf dem Wasser ist man sich manchmal böse. Aber das liegt an diesen verdammten Segelbooten. Die machen einen irgendwie aggressiv. Wenn man seinen Fuß wieder auf trockenen Boden setzt, ist jede Menge innerer Ballast abgeworfen. Die wohlige Ausgeglichenheit kehrt zurück. Sie steckt eigentlich irgendwo in jedem Segler. Bestimmt!

Dagegen geht dem Gastanker-Kapitän die Entspannung irgendwie ab. Er hat sein Schiff geparkt, und wir segeln nahe seiner zur schwarz aufragenden Bordwand. Hektisch rudert er oben mit den Armen und schreit: "Das ist hier ein Gefahrentransport der Klasse drei". Na und? Explodiert er, wenn wir an seiner Bordwand kratzen? Sollte man die Luft in seinem Umfeld nicht einatmen? Was will uns der Mann sagen? Hätte er sich eben nicht in die Außenkurve des Rheins gelegt. Die Strömung schiebt hier stärker. Jeder Meter zählt. Das muss er doch wissen. Es geht schließlich ums "Blaue Band".

Auch der Rumäne, der sich mit seiner Schute permanent hupend seinen Weg durch das Feld bahnt, hat möglicherweise Angst um sein Schiff. Unser Rumänisch ist eher schlecht, aber wir meinen an der Tonlage seiner Kommunikation zu erkennen, dass er uns nicht anfeuert für den weiteren Verlauf des Wettkampfes. Natürlich könnte die Scheibenwischer-Geste mit der rechten Hand auch die Art sein, wie sich Rumänen dafür bedanken, dass sie in der EU sein dürfen. Vermutlich tun wir dem Mann also Unrecht. Was sollte ihn auch unser Abstand zu seinem Boot kümmern? Er dürfte es kaum merken, wenn wir von seiner Schute übergemangelt und im Schraubenwasser kleingehäckselt werden.

Seit unglaublichen 88 Jahren funktioniert dieses freundliche Nebeneinander schon zwischen Seglern und Schuten-Piloten bei der Rheinwoche. Und das sollte sich auch nach dieser Rheinwoche nicht ändern. Für die Crew der "True Love" war es ein Erlebnis, der 120-Boote-Flotte voraus zu fahren. Insgesamt waren wir 20 Minuten schneller als das zweitschnellste Schiff der Rheinwoche. Das ist nun eigentlich nicht so bemerkenswert mit der schnellsten Yardstickzahl von 94. Deshalb liegt das Augenmerk auf der Yardstickwertung in unserer Gruppe. Die Plätze 2,1,1,6,5 reichen für den Sieg. In der Gesamtwertung des "Blassblauen Bandes" für die beste berechnete Gesamt Yardstick-Zeit aller 120 Boote sind wir als 13. allerdings chancenlos gegen Zugvögel, H-Boote, Sharks und Ynglings.

Carsten Kemmling


Abenteuer Rheinwoche Teil II

Rheinsegeln: Wie bei einem Bungeesprung

Gefangen zwischen Berg- und Talfahrer. Der Pirat kreuzt lässig zwischen den Frachtern... © Tobias Moesgen
Abenteuer Rheinwoche Teil I

...Diese Soling übersteht die kritische Situation etwas unentspannter mit flatternden Segeln. © Tobias Moesgen
Hübsch soll er sein, der Rhein bei Oberwinter. Ich nehme mir fest vor, den Reiz der Landschaft zu inhalieren, den exklusiven Blick von der Wasserseite auf die Umgebung des Drachenfels zu genießen. Es scheint schließlich die Sonne. T-Shirt Segelwetter. Vollgepfropfte Ausflugsdampfern cruisen vorbei. Die Touristen haben lange Wege und hohe Preise in Kauf genommen, um sich die Schokoladenseite des Rheins anzusehen. Und wir? Schwupps sind die Sehenswürdigkeiten am Rolandseck durchgerauscht.
Man könnte gemütlich im Boot sitzen und die außergewöhnliche Rheinperspektive genießen. Aber es geht wieder banal um die Kunst des Nullstarts, ums Ausweichen, Wenden, Winddreher. Wie überall bei den Segel-Wettrennen dieser Welt. Schade eigentlich. Man kann eben nicht alles haben. Das Regattieren auf dem Rhein ist schließlich aufregend genug. Sogar eine Spur dramatischer und hektischer als anderswo. Denn zu den üblichen Strategie-Dimensionen der wechselnden Windstärke und -Richtung kommen zwei weitere hinzu. Strömung und Berufsschifffahrt.
Das Auslaufen aus dem Hafen kostet schon eine gewisse Überwindung. Wie vor einem Bungee-Sprung. Man springt ab und weiß, dass es kein Zurück gibt. Der Strom nimmt einen mit. Er nimmt alles mit, was sich nicht mit Motorkraft dagegen halten kann. Segler können sich bei genügend Wind allenfalls nahe dem Ufer gegen Vater Rhein stemmen. Die Strömung dort ist dort geringer. Aber es gibt einige Opfer, die zu früh über die Startlinie getrieben werden. Sie müssen warten, bis das gesamte Feld passiert. So wollen es die speziellen Rheinwoche Regeln. Zurück über die Linie können sie schließlich nicht.
Mit unserer Jongert 25 haben wir noch die besten Karten beim Kampf mit dem fließenden Wasser. Je schneller das Boot, umso einfacher ist das Manövrieren. Eine Minute vor dem ersten Start liegt das Gros der ersten Gruppe noch mit dem Heck zur Linie. Ein skurriles Bild. Mit schäumendem Bug und vollen Segeln versuchen sich die Schiffe von der Linie freizuhalten. Und sie treiben doch auf sie zu. Im richtigen Moment wird das Steuer herumgerissen. Die Startkreuz bis zum ersten Ziel in Mondorf beginnt.

Wir scheinen nicht sehr beliebt zu sein im Kreise der Rheinwoche-Starter. Eine Edel-Jongert mit Plastiksegeln und Kohlefaser-Rigg mag nicht gerade ein Sympathieträger sein in der Flotte der eher bodenständigen Varianta-, Zugvogel-, oder Sailhorse-Spezialisten. Wir sind nun mal keine 30er Schäre, denen die Herzen zufliegen. Sage mir, welches Boot du segelst und ich sage dir, wer du bist. Diese Erkenntnis passt oft genug in der Welt der Segler. Somit dürften wir mit dem schnellen 25 Fußer eine gewisse Arroganz ausstrahlen. Wissen ja wenige, dass wir uns das Schiff nicht selber aus der Portokasse gezahlt haben. Es ist eben ein sehr exklusives Clubschiff.
Durch diese Sichtweise unserer Außenwirkung gelingt es jedenfalls, den Startvorfall mit der Soling-Crew nicht persönlich zu nehmen. Die drei Herren mögen nicht, dass wir uns vor sie legen. Klar, Windschatten fände ich auch doof. Aber irgendwann ist der Rhein nun mal ebenso zu Ende wie die Rücksichtnahme auf kleinere Mitstreiter. Dabei will die genervte Soling-Crew sogar eine Regelverletzung erkannt haben und tut das lautstark kund. Es geht um eine abenteuerliche Interpretation des Regelwerks. Aber vermutlich liegt dem verbalen Ausbruch auch ein allzu menschliches Dampfablassen nach der enormen Vorstartspannung zugrunde. Wenn dann noch so ein arroganter Racer daher kommt, ist der ein willkommener Fluch-Adressat.
Es geht hektisch zu beim Start. Wenn die 120 Boote bei ordentlich Druck hin und her kreuzen. Als wäre es nicht schon genug Stress, den fiesen Schären-Bugspitzen auszuweichen, drängelt sich dann auch noch die geduckt vorwärts schäumenden Bergfahrer dazwischen, die entgegenkommenden Frachter. Sie teilen das Feld mit ihrem Bug. Das Startfeld ist für einen Rheinschiffer kaum ein Grund, vom Gas zu gehen. Diese Nähe zu den schwarzen Schuten ist ungewohnt. Sie erzeugt spontane Furcht, wenn sich die Distanz plötzlich verringert. Aber je länger das Rennen dauert, umso mehr werden sie zum gewohnten beweglichen Hindernis, das intelligent umfahren werden will.
Und dennoch rauscht das Adrenalin in den Adern, wenn sich wieder einmal einer dieser Geisterfahrer der Aufmerksamkeit entzieht.


Abenteuer Rheinwoche Teil III

Abenteuer Rheinwoche Teil III

28.05.2010

Rheinsegeln: Eigentlich haben sich alle lieb…

Etappenstopp in Köln Porz. Das Fahrgastschiff "Eureka" liegt bereit. Auf ihm wird geschlafen, gesessen, gegessen und getratscht © C. Kemmling
Das Kreuzen geht an die Substanz. Unzählige Wenden. Auf den 120 Kilometer in fünf Etappen steigt nur einmal für fünf Minuten ein buntes Tuch aus dem Sack in den Mast. Ansonsten immer hart am Wind. Wolfgang an der Großschot macht dicke Backen. Groß auf, wenn eine Böe ins Rigg hackt. Groß wieder dicht, wenn der Druck nachlässt. Sonst kippt die Kiste nach Luv. Und die Crew auf der Kante bekommt nasse Füße. Das will ja niemand. Barbara kurbelt sich bei den Manövern im Minutentakt die Seele aus dem Leib, Clemens hilft, wenn es zu hart wird und Christoph reißt die Schot dicht. Alle wissen nach drei Tagen, was sie getan haben.
Knapp eineinhalb Stunden dauert für uns der erste Lauf, die erste Etappe. Der längste Abschnitt liegt bei knapp drei Stunden. Im Hafen Mondorf liegt schon das Fahrgastschiff “Eureka” bereit. Ein 56 Meter langer “Holländer” auf dem bis zu 600 Passagiere Platz nehmen. Es ist das Basisschiff der Rheinwoche. Auf dem Oberdeck ist ein Matratzenlager für bis zu 100 Segler eingerichtet. Es wird überwiegend von der Jugend genutzt. Unten wird gegessen. Bei welcher Regatta gibt es das schon? Ein ordentliches Mittagessen zwischen zwei Läufen.

Wir müssen uns zwar immer etwas gedulden, weil unser Racer der Flotte voraus fährt und wir vor der “Eureka” auf der Matte stehen, sobald sie die Leinen festgemacht hat. Aber das ist gerade noch auszuhalten. So können wir uns in aller Ruhe über die Getränkepreise mokieren, die mit 2,50 Euro für eine Mini-Cola doch sehr “holländisch” sind, wie einige Mitsegler beteuern. Komisch, als ich noch im Revier lebte – lang ist es her – sind wir immer zum Sprit bunkern ins günstige Holland gefahren. Es scheint sich einiges geändert zu haben. Viele Segler sind offenbar gar nicht gut auf die Preispolitik der Nachbarn zu sprechen. Dabei ist doch eigentlich nur wichtig, dass die Freunde des flachen Landes bei der Fußball WM hinter unserer Löw-Truppe liegen.
Beim zweiten Start ecken wir wieder an. Eine Tempest erwartet ein Ausweichmanöver. Sie steuert mit Vorfahrt auf uns zu. Ich lege mich ins Schiff, um unter dem Baum durchsehen zu können und peile und peile…passt! Die Tempest sollte klar hinter uns durchfahren. Dort sieht man das offenbar etwas anders. Der Steuermann wirft das Schiff in einem vermeintlichen Notmanöver herum, und echauffiert sich hörbar. “Protest” heißt es. Entweder möchte da jemand den vermeintlich arroganten Jongert-Typen eine Lehre erteilen. Oder der Mann hatte tatsächlich Angst um sein Boot. Offensichtlich gibt es zu dem Vorfall zwei Meinungen. Die Wahrheit könnte nur der Videobeweis ans Licht bringen.

"True Love" mitten im Gewimmel. Die holländische Sailhorse macht gerade fest. © C. Kemmling
Wie auch immer. Im Kölner Zielhafen kommt der Tempest-Segler an Bord. Sagt, es sei so schönes Wetter und Bayern München spiele das Champions-League Finale, da wolle man doch nicht die Zeit im Protestraum verbringen. Er wäre auch mit einem Bier zufrieden. Hmm, ein erzwungenes Bier ist natürlich in gewisser Weise ein Schuldeingeständnis. Aber es zeigt auch den Spirit dieser Veranstaltung. Eigentlich haben wir uns doch alle lieb unter Seglern. Auf dem Wasser ist man sich manchmal böse. Aber das liegt an diesen verdammten Segelbooten. Die machen einen irgendwie aggressiv. Wenn man seinen Fuß wieder auf trockenen Boden setzt, ist jede Menge innerer Ballast abgeworfen. Die wohlige Ausgeglichenheit kehrt zurück. Sie steckt eigentlich irgendwo in jedem Segler. Bestimmt!
Dagegen geht dem Gastanker-Kapitän die Entspannung irgendwie ab. Er hat sein Schiff geparkt, und wir segeln nahe seiner zur schwarz aufragenden Bordwand. Hektisch rudert er oben mit den Armen und schreit: “Das ist hier ein Gefahrentransport der Klasse drei”. Na und? Explodiert er, wenn wir an seiner Bordwand kratzen? Sollte man die Luft in seinem Umfeld nicht einatmen? Was will uns der Mann sagen? Hätte er sich eben nicht in die Außenkurve des Rheins gelegt. Die Strömung schiebt hier stärker. Jeder Meter zählt. Das muss er doch wissen. Es geht schließlich ums “Blaue Band”.
Auch der Rumäne, der sich mit seiner Schute permanent hupend seinen Weg durch das Feld bahnt, hat möglicherweise Angst um sein Schiff. Unser Rumänisch ist eher schlecht, aber wir meinen an der Tonlage seiner Kommunikation zu erkennen, dass er uns nicht anfeuert für den weiteren Verlauf des Wettkampfes. Natürlich könnte die Scheibenwischer-Geste mit der rechten Hand auch die Art sein, wie sich Rumänen dafür bedanken, dass sie in der EU sein dürfen. Vermutlich tun wir dem Mann also Unrecht. Was sollte ihn auch unser Abstand zu seinem Boot kümmern? Er dürfte es kaum merken, wenn wir von seiner Schute übergemangelt und im Schraubenwasser kleingehäckselt werden.
Seit unglaublichen 88 Jahren funktioniert dieses freundliche Nebeneinander schon zwischen Seglern und Schuten-Piloten bei der Rheinwoche. Und das sollte sich auch nach dieser Rheinwoche nicht ändern. Für die Crew der “True Love” war es ein Erlebnis, der 120-Boote-Flotte voraus zu fahren. Insgesamt waren wir 20 Minuten schneller als das zweitschnellste Schiff der Rheinwoche. Das ist nun eigentlich nicht so bemerkenswert mit der schnellsten Yardstickzahl von 94. Deshalb liegt das Augenmerk auf der Yardstickwertung in unserer Gruppe. Die Plätze 2,1,1,6,5 reichen für den Sieg. In der Gesamtwertung des “Blassblauen Bandes” für die beste berechnete Gesamt Yardstick-Zeit aller 120 Boote sind wir als 13. allerdings chancenlos gegen Zugvögel, H-Boote, Sharks und Ynglings.

Carsten Kemmling


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